Aussöhnen mit Deutschland
Wir brauchen einen neuen Blick auf dieses Land. Von hier kam viel Leid. Dieses Land war der Ursprung und die Ursache für große geschichtliche Verbrechen. Und gleichzeitig ist Deutschland heute in Europa und in der Welt in einer neuen Situation der Verantwortung. Es wird gebraucht. Wir, die Kinder und Enkelkinder der Kriegsgeneration (oft bezeichnet als Kriegskinder und Kriegsenkel) suchen nach neuen Antworten, um uns der Verantwortung vor der Geschichte und der Verantwortung für die Zukunft zu stellen.
In den letzten Jahrzehnten ist in Deutschland vorbildliche Aufarbeitung geschehen. Doch wir erleben noch immer in vielem eine kulturelle Lähmung. Sie herrscht dort, wo aus Lebensfreude, aus Gestaltungskraft, aber auch aus Geschichtsbewusstsein eine neue Kultur gelebter Verantwortung entstehen könnte. Diese Selbstblockade kann heilen, wenn wir an der eigenen Geschichte reifen – individuell und kollektiv. Was wir dafür brauchen, ist eine Transformation des Denkens, Fühlens und Handelns.
Diesen Prozess nennen wir Aussöhnen. Ihm haben wir im März 2014 eine Konferenz in Berlin gewidmet, die unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Gesine Schwan stand. Die Impulse dieser Konferenz wirken an den verschiedensten Orten und Zirkeln weiter. In der NS-Zeit wurde im Namen Deutschlands Mitmenschlichkeit zerstört, Rituale wurden vergiftet. Auch Gemeinschaft wurde pervertiert. Doch Aussöhnen braucht Gemeinschaft. Dafür brauchen wir einen Raum, in dem kognitives Verstehen, mitfühlendes Bewusstsein und die vitalisierende Kraft von künstlerischen Impulsen zum Tragen kommen. Die Konferenz schuf hierfür ein prototypisches Beispiel.
Es braucht diesen Aussöhnungsprozess, denn:
- Für die Kinder und Enkel der Kriegsgeneration gilt es, einen heilenden Raum der Selbstvergewisserung zu öffnen;
- innergesellschaftlich gilt es, in Deutschland nach einer Phase zunehmender sozialer Verwerfungen und Ungleichheiten den demokratischen Impuls kraftvoll zu halten und zu stärken;
- nach außen geht es darum, dass Deutschland seiner neuen Rolle in Europa gerecht wird. Gelingt es uns, eine neue Partnerschaft der Kooperation und des Respekts einzugehen?
Weitere Fragen sind:
- Wie sieht ein heilsamer, lebensbejahender Umgang mit Macht und Verantwortung aus, individuell und kollektiv?
- Gibt es Züge in unserem deutschen „Sozialcharakter“ (Erich Fromm), die einem friedlichen und partnerschaftlichen Miteinander im Wege stehen?
- Gibt es wichtige Potenziale, die wir aufgrund der traumatischen Geschichte des 20. Jahrhunderts ungenutzt lassen?
- Gibt es heilende Bewusstheit im Sinne einer geschichtsbewussten, reifen Haltung nach dem Trauma?
- Welche Kräfte der Transformation sind am Werk, die uns helfen, kollektiv und individuell eine neue Kultur gelebter Verantwortung zu gestalten?
„Aussöhnen mit Deutschland – Verantwortung, Heilung, Transformation“,
Wir stehen in regem Austausch mit einer Vielzahl von Menschen und Initiativen, die sich für diese Fragen interessieren. Gemeinsam wollen wir Impulse setzen für eine Stärkung von Verantwortung, Heilung und Transformation. Darin liegt Deutschlands Chance.
Berlin, im Juni 2014
Heiner Max Alberti
Prof. Dr. Barbara von Meibom
Dr. Tom Steininger