Wir freuen uns sehr, dass nunmehr auch Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., die Konferenz durch ein Grußwort bereichert. Darin schreibt sie:
Was die Menschen auszeichnet, sind ihre Potenziale. Der einseitige Blick auf die Defizite wirkt schwächend, nicht stärkend.
Wer dem zustimmt, wird immer weniger bereit sein, sich mit Beurteilungen oder Verhältnissen abzufinden, die diskriminierend oder ungerecht sind. Solche Verhältnisse gibt es in der reichen demokratischen Bundesrepublik Deutschland weiterhin: Eine zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, anhaltende Diskriminierung und Missachtung von Menschen mit Migrationshintergrund, Benachteiligung von Kinder aus bildungsfernen Schichten und Behinderten, anhaltende Diskriminierung von Frauen – das sind nur einige der Felder. In der europäischen Finanzkrise hat sich zudem gezeigt, dass auch diskriminierende Einschätzungen anderer Länder wieder ein breites Echo in unserem Land gefunden haben.
Wenn wir hier zu Änderungen kommen wollen, brauchen wir also einen Blick auf Potenziale, statt auf Probleme oder Schwächen – sei es von Menschen, von Gruppen oder von anderen Nationen, mit denen wir in Europa verbunden sind.
Ein solcher Blick ist angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen hochaktuell; er ist darüber hinaus eine besondere Herausforderung auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie war eine Entwertung und Dehumanisierung eines Großteils der deutschen Bevölkerung. Es war eine Haltung, die unterschwellig getragen war von einem mangelnden Selbstwertgefühl in der Mehrheitsgesellschaft, welche sich als Selbstüberhöhung manifestierte und in einer Entwertung und Vernichtung dessen entlud, was als Fremd und nicht zugehörig erklärt wurde.
Bei unserem heutigen Anliegen, sich auf die Potenziale von Menschen auszurichten – unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion oder nationaler Zugehörigkeit – ist es daher von größter Bedeutung, sich dieser dunklen Tatsachen bewusst zu sein. Für Menschen in unserem Land verbietet sich jegliche Rechthaberei oder Selbstüberhöhung – gerade dann, wenn unser Land wie derzeit wieder zu einem machtvollen Gestalter in Europa geworden ist.
Was wir gleichwohl brauchen – sowohl nach innen wie nach außen – das sind Bürger und Bürgerinnen, die ihre eigenen Potenziale erkennen und bereit sind, sie im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen. Die erneute Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte bietet hierbei eine wichtige Möglichkeit, um in eine gereifte Verantwortung und Verantwortlichkeit zu wachsen. Süssmuth Grußwort zur Konferenz_Aussöhnen mit Deutschland